Keine andere Ernährungsweise wurde umfassender untersucht und die Erkenntnisse aus der Beobachtung von rund 13 Millionen Menschen sind überwältigend. So auch das Potenzial der mediterranen Diät, die stille Entzündung zu senken. Herr und Frau Schweizer befolgen aber die mediterrane Diät höchstens auf bescheidene Weise und sind daher heisse Kandidat*innen für die schwelende, stille Entzündung.

Die wohl älteste Untersuchung zur mediterranen Diät startete Ende der 1940er-Jahre. Ihre Ergebnisse wurden aber erst 1953 veröffentlicht. Das Ernährungsverhalten von über 500 Bewohnenden der Insel Kreta wurde damals mithilfe von 7-Tage-Ernährungsprotokollen erhoben und schon diese erste Untersuchung zur mediterranen Essensweise ergab einen Anteil der Fette von knapp 40 Prozent der gesamten Energiezufuhr (1). Weitere Untersuchungen bestätigten diesen Fettanteil in der traditionellen mediterranen Diät in Griechenland. Sie ergaben, inklusive der berühmten 7-Länder-Studie, übliche Werte von 40 bis 45 Prozent der Energiezufuhr über die Fette (2, 3). Die Kohlenhydrate lagen dabei oft bei weniger als 45 Prozent. Die mediterrane Diät müsste somit als «ungesund» taxiert werden, denn sie liefert einiges mehr an Fett als beispielsweise die im deutschsprachigen Raum gemäss DACH-Referenzwerten empfohlenen 30 Prozent (4). Sie ist aber alles andere als «ungesund».

Die mediterrane Diät wirkt als Einheit

Die Entdeckung der Vitamine und die durch einen Vitaminmangel verursachten spezifischen Krankheiten führten zu einer Betrachtungsweise der Ernährung, die heute noch fest verankert ist. Sobald ein gesundheitliches Problem auftaucht und die Ernährung als mögliche Ursache identifiziert wird, beginnt die reduktionistische Suche nach dem einzelnen Stoff oder einzelnen Lebensmittel, der dafür verantwortlich sein soll. Diese reduktionistische Denkweise bildet auch die Grundlage für die verschiedenen Ampelsysteme bei der Beurteilung von Lebensmitteln, mit dem Nutriscore als jüngstem Beispiel. Leider berücksichtigt diese Betrachtungsweise weder elementare Aspekte der Physiologie noch Aspekte der Lebensmittelbeschaffenheit und widerspricht die wissenschaftliche Evidenz der letzten Dekaden. Denn eine solche Denkweise impliziert eine gleiche physiologische Wirkung nach Einnahme eines bestimmten Nährstoffs, was aber offensichtlich nicht der Fall ist (mehr dazu im nächsten Blog, der wie üblich via Newsletter angekündigt wird: »Newsletter-Anmeldung).

Auch bei der mediterranen Diät hat man nach dem Aspekt gesucht, der für die vorteilhaften Wirkungen verantwortlich sein soll. Der Klassiker zu dieser Suche ist die Studie von Antonia Trichopoulou, der Grande Dame der Forschung zur mediterranen Diät. Sie nannte die Studie «Anatomie der mediterranen Diät» und griff dafür auf den griechischen Teil der EPIC-Kohorte zurück. Die Erkenntnis aus der Analyse des Essverhaltens von rund 23 000 Bewohner*innen aus ganz Griechenland war: Keine Lebensmittelgruppe war für sich betrachtet signifikant mit einer geringerem Gefahr des verfrühten Todes assoziiert – ausgenommen vom Alkohol (5, 6). Als Ganze betrachtet lag aber eine signifikante Reduktion der Gesamtsterblichkeit vor.

Die mediterrane Diät senkt die stille Entzündung

Geht ein bestimmtes Lebensstilverhalten mit einer Reduktion der Gefahr der Gesamtsterblichkeit einher, muss man heute immer die stille Entzündung als mögliche Ursache in Betracht ziehen. Für die mediterrane Diät würde dies bedeuten, bei ihrer Befolgung ist die stille Entzündung weniger ausgeprägt im Vergleich zu anderen Diäten. Dies ist auch der Fall.

Eine Meta-Analyse von über einem Dutzend Studien mit insgesamt knapp 2000 Erwachsenen zur mediterranen Diät im Vergleich zu irgendeiner anderen Kontrolldiät ergab beim hsCRP-Gehalt, dem Marker für die stille Entzündung, einen um 1.0 mg/L niedrigeren Gehalt bei der mediterranen Diät  (7). Auch bei der PREDIMED-Studie, dem Klassiker unter den Langzeit-Interventionsstudien zur mediterranen Diät bei Erwachsenen ohne Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber mit vorliegenden Risikofaktoren, war das Ergebnis entsprechend (8). Die Variante mit der Einnahme von mindestens 50 Gramm täglich an Olivenöl gekoppelt an eine mediterrane Diät resultierte in einer Halbierung des hsCRP-Gehaltes nach fünf Jahren (von 3.7 auf 1.7 mg/L), obwohl – oder viel eher weil – diese Essensweise einen Fettanteil von 41 Prozent der Energiezufuhr bedingte. In der nicht-mediterranen Kontrolldiät betrug der Fettanteil 37 Prozent, der hsCRP-Gehalt stieg aber nach fünf Jahren von 3.4 auf 4.5 mg/L an.

In der Schweiz noch viel Verbesserungspotenzial

Die umfassende Datenlage zur mediterranen Diät ist überwältigend. In der bislang grössten Meta-Analyse wurden die Ergebnisse an fast 13 Millionen Studienteilnehmenden zusammenfassend ausgewertet. Die mediterrane Diät geht mit einer Reduktion einer ganzen Palette an Krankheiten einher – von den Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zu Alzheimer und Parkinson – und folglich auch mit einem erheblich tieferen Risiko für die Gesamtsterblichkeit (9).

In der Schweiz sieht es bezüglich der mediterranen Diät nicht gerade rosig aus. Laut der ersten repräsentativen nationalen Verzehrsstudie «menuCH» befolgten die Erwachsenen die mediterrane Diät nur auf eine bescheidene Art und Weise. Die Analyse erfolgte dabei mit dem klassischen Verfahren zur Beurteilung der mediterranen Diät, der von Antonia Trichopoulou entwickelt wurde (5). Der entsprechende Score geht von «0 = gar nicht mediterran» bis «9 = maximal mediterran». Der in menuCH ermittelte durchschnittliche Score betrug weniger als 4; die Ernährungsweise in der Schweiz ist somit nicht einmal halbwegs mediterran (10).

Schwelbrand der stillen Entzündung auch in der Schweiz verbreitet?

Repräsentative Daten zum hsCRP-Gehalt und somit zur stillen Entzündung in der Schweiz gibt es noch keine. Die Situation dürfte aber allein aufgrund des bescheidenen Essverhaltens wohl nicht besonders erfreulich sein. Ob die Lage dermassen alarmierend ist, wie in Deutschland, wo jeder zweite Erwachsene eine stille Entzündung aufweist (11), lässt sich aktuell nicht mit Sicherheit sagen. Es gibt aber auch wenig Argumente, die für einen nennenswert weniger ausgeprägten Schwelbrand in der Schweiz sprechen. Die fehlenden Schweizer Daten zum hsCRP-Gehalt sollen aber nicht davon abhalten, bereits jetzt Massnahmen zur Kontrolle der stillen Entzündung zu ergreifen. Dafür reicht die Erkenntnis, dass sie für mehr als 50 Prozent der globalen Todesfälle verantwortlich ist (12).

Literatur

  1. Allbaugh LG. Crete. A case study of an underdeveloped area. Princeton University Pres: Princeton NJ, 1953.
  2. Trichopoulou A, Lagiou P, Trichopoulos D. Traditional Greek diet and coronary heart disease. J.Cardiovasc.Risk 1994; 1:9–15; 10.1177/174182679400100103.
  3. Kafatos A, Verhagen H, Moschandreas J, Apostolaki I, van Westerop J. Mediterranean diet of Crete: Foods and nutrient content. J.Am.Diet.Assoc. 2000; 100:1487–1493; 10.1016/s0002-8223(00)00416-8.
  4. DGE, ÖGE, SGE. D-A-CH-Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. 2. Auflage, 6. aktualisierte Ausgabe. Neuer Umschau Buchverlag: Neustadt an der Weinstraße, 2020.
  5. Trichopoulou A, Costacou T, Bamia C, Trichopoulos D. Adherence to a mediterranean diet and survival in a Greek population. N.Engl.J.Med. 2003; 348:2599–2608; 10.1056/NEJMoa025039.
  6. Trichopoulou A, Bamia C, Trichopoulos D. Anatomy of health effects of Mediterranean diet: Greek EPIC prospective cohort study. BMJ 2009; 338:b2337; 10.1136/bmj.b2337.
  7. Schwingshackl L, Hoffmann G. Mediterranean dietary pattern, inflammation and endothelial function: A systematic review and meta-analysis of intervention trials. Nutr.Metab.Cardiovasc.Dis. 2014; 24:929–939; 10.1016/j.numecd.2014.03.003.
  8. Casas R, Sacanella E, Urpí-Sardà M et al. Long-term immunomodulatory effects of a mediterranean diet in adults at high risk of cardiovascular disease in the PREvención con DIeta MEDiterránea (PREDIMED) randomized controlled trial. J.Nutr. 2016; 146:1684–1693; 10.3945/jn.115.229476.
  9. Dinu M, Pagliai G, Casini A, Sofi F. Mediterranean diet and multiple health outcomes: An umbrella review of meta-analyses of observational studies and randomised trials. Eur.J.Clin.Nutr. 2018; 72:30–43; 10.1038/ejcn.2017.58.
  10. Pestoni G, Krieger J-P, Sych JM, Faeh D, Rohrmann S. Cultural differences in diet and determinants of diet quality in Switzerland: Results from the national nutrition survey menuCH. Nutrients 2019; 11:126; 10.3390/nu11010126.
  11. Steppuhn H, Laußmann D, Baumert J et al. Individual and area-level determinants associated with C-reactive protein as a marker of cardiometabolic risk among adults: Results from the German National Health Interview and Examination Survey 2008-2011. PLoS ONE 2019; 14:e0211774; 10.1371/journal.pone.0211774.
  12. Furman D, Campisi J, Verdin E et al. Chronic inflammation in the etiology of disease across the life span. Nat.Med. 2019; 25:1822–1832; 10.1038/s41591-019-0675-0.