Sie ist nicht ganz so taufrisch. Die Rede ist von einer Übersichtsarbeit zu den Fettsäuren und den Herz-Kreislauf-Erkrankungen, veröffentlicht im Frühling dieses Jahres vom Leiter des Ernährungsdepartements am Institut Pasteur de Lille in Frankreich. Das Thema der Arbeit ist jedenfalls ganz heiss. Und dies seit Jahrzehnten. Es geht natürlich um die Fettsäuren unserer Nahrung und deren Zusammenhang zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Und eigentlich wissen wir ja alle, wie es darum steht. Gesättigte Fettsäuren sind die bösen Buben, die einfach ungesättigten könnten wir als die Schweizer unter den Fettsäuren bezeichnen – da sie neutral sind – und die mehrfach ungesättigten Fettsäuren sind die netten Kerle.
Deshalb ist die Übersicht aus Lille schon fast eine Frechheit. Da stehen Sachen wie „eine Gruppierung der Fettsäuren nur nach dem biochemischen Gesichtspunkt ist nicht mehr von Bedeutung“, „jede einzelne gesättigte Fettsäure – 12:0, 14:0, 16:0 oder 18:0 – hat unterschiedliche Auswirkungen“, „entsprechend … müssen die einfach ungesättigten oder die Omega-6 oder Omega-3 Fettsäuren alle einzeln betrachtet werden“. Es steht auch, dass die „Auswirkungen von der chemischen Zusammensetzung eines einzelnen Lebensmittels oder gar von der gesamten Ernährungsweise abhängen“. Oder anders ausgedrückt, jede Gruppierung von Fettsäuren soll nicht physiologisch begründbar sein, da innerhalb einer Gruppe von Fettsäuren die einzelnen Fettsäuren nicht gleich wirken. Und auch, dass die Auswirkungen derselben Fettsäure vom Rest der Nahrung verändert werden kann.
Dies ist doch wirklich eine Frechheit! Denn wenn dies stimmen würde, müssten wir die ganzen Lehrbücher und die gesamten Empfehlungen zu den Fetten und Fettsäuren neu schreiben. Das geht doch nicht. Und dann wird noch behauptet, dass die gesamte „Gleichung Herz-Kreislauf-Erkrankungen / Atherosklerose / gesättigte Fettsäuren / Blutcholesterol irrig ist, da sie die wirkliche physiologische Situation zu stark vereinfacht.“
Was sollen wir nun mit Jean-Michel Lecerf, so heisst der Autor dieser Übersicht, nun anstellen? Vielleicht massregeln, weil er nicht in der Lage ist, die bestehende Lehrbuchmeinung und die bestehenden Empfehlungen zu bestätigen? Oder sollten wir ihm vielleicht unseren Respekt zollen, weil er versucht hat, die aktuelle wissenschaftliche Datenlage sauber darzustellen?
Monsieur Lecerf, Chapeau!
J. M. Lecerf. Fatty acids and cardiovascular disease. Nutr.Rev. 67:273-283, 2009.